Châteauvert en Var

Die Auberge de Châteauvert ist ein Ort, der Restaurantkritiker abschreckt. Der hauptsächliche Speiseplatz ist bis in den tiefen Herbst vor der Tür, man sitzt ein paar Meter von einer Landstraße entfernt nahe einer Ampel. Die alte Römerbrücke über den Argens dämpft die gefräßige Stille der Gäste kaum, das Bassin mit den truite ist bemoost, die kostenlose caraffe d’eau wird dem Zulauf entnommen. Mineralwasser in Flaschen? Der patron schaut ungläubig. Wozu 3,50 Euro bezahlen, wo man doch kostenlos … Ein ständiges Schild am Eingang „Nous sommes complets“ weist jeden ab, der sich von so etwas abhalten lässt.

Das Gebäude ist ein seit 1914 baulich unverändert gebliebener Schuppen mit einem Speisesaal innen und einem Platanen-bedachten Tanzplatz draußen. Der alte patron sitzt hinterm Eingang am offenen Kamin und beobachtet zufrieden das antike, umfunktionierte mechanische Uhrwerk, das den Spieß mit den caille en brochette überm Holzfeuer dreht. Gespräch im Vorbeigehen: „C’est quelle espèce de boit?“ – „Figuier et olivier.“ – „Les cailles sentent bien!“ – „Ils cuitent forte, ils cuitent forte.“ [„Welche Sorte Holz ist das?“ – „Feige und Olive.“ – „Die Wachteln duften gut!“ – „Sie brutzeln, sie brutzeln.“]

Die Teller sind rund, die Gläser sind ballons, das Besteck ist aus Blech. Das Menü ist immer gleich: Wochentags zur Vorspeise Schinken fait maison und Terrine fait maison, dazu Gemüse mit regionalem Olivenöl. Die Terrine ist eine forrestière, wenn man so will, beide patron wildern halt gern. Die Wahl eines Rosé Chateau Rotas ist kein Glücksgriff, der de la Cloche wäre besser gewesen; aber die Weinkarte bietet ohnehin nur 18 Weine, das Maximum ist ein Gigondas, von dem der junge patron dringend abrät, er sei zu teuer mit seinen 32 Euro pro Flasche und außerdem „aus Frankreich“, also aus der Sicht des Provençalen von gottweißwoher.

Zweite Vorspeise und wochentags Hauptgericht: Entweder truite meunière oder brouillade oder écrevisses à l’amoricaine.

Wer die truite bestellt bewirkt, dass der mürrische chef aus der Küche kommt, die Forelle aus dem Bassin keschert, sie umstandslos tötet, sofort ausnimmt, die Innereien den Hühnern zuwirft und den Fisch an den Herd trägt. Kochwerk ist Blutwerk. Wer bei so etwas heikel ist, der soll zu MacDonald’s gehen. – Die brouillade, eigentlich nur Rührei, ist perfekt zubereitet und mit Pilzen durchsetzt. Patron père liebt es, in die Pilze zu gehen. Wir sind nahe an Italien. „Welche Pilze nehmen Sie?“ – „Wenn ich Ihnen das sage, monsieur, wird’s mir hier zu voll.“ Der Stöberhund an seiner Seite schaut unschuldig. – Zu den Krebsen sei geraten: Man lässt die hübschen Tiere unangetastet, die sind zwar direkt beim Züchter gekauft und qualitativ gut, wurden aber selbstverständlich vorgegahrt und eingefroren, wer anderes erwartet ist ein Träumer. Der eigentliche Genuss ist in der Sauce, die ist eine echte Meisterleistung und den ganzen Gang wert: dicker als ein cassoulet, offensichtlich werden hier die Krebsreste nicht weggeworfen, sondern ausgekocht, reduziert und nochmals reduziert.

Die Sonn- und Feiertage bieten dann noch zwei Hauptgerichte zur Auswahl: Caille en brochette und agneau. Die Wachteln haben wirklich die Sonne gesehen, das heißt: sie schmecken nach etwas. Das Lamm ist keines mehr, es hatte, sagt man, schon Salz auf dem Schwanz, es ist also ein sehr junges Schaf, weswegen das Fleisch auch nicht diese pluralistische Fadheit hat, für die Lamm derzeit so übertrieben geschätzt wird. Aus diesem Tier trieft das Leben, weil es eines gehabt hat. Die Beilagen sind solide aber banal, die frittes sind immerhin hausgemacht und handgeschnitten, dünn und in frischem Öl gebacken, leider nicht zweimal, wie es sich gehört, was der einzige echte Mangel des Mahles ist. Die Erbsen sind hübsch in heimischem Speck geschmort, aber eben einfältige Erbsen, – warum nur hält man uns selbst an diesem Ort die Geschmacksromane der weißen Bohne vor? Der Rote vom Chateau Miraval und das unglaublich gute Brot, in das man seine Nase tauchen muss, entschädigen.

Als wir bei der Vorspeise sind, kommt eine Gruppe von sechs Porsches auf den Hof gefahren. „Bon dieu!„, ruft der patron, „was soll das denn werden?“ Jedes der nun aufgestellten Nackenhaare des gefährlich leise knurrenden Stöberhundes zittert vor Wut darüber, dass Herrchen heute am nachmittäglichen Gang ins Revier gehindert werden könnte.  – Wir sind definitiv zu beliebt!, flucht der patron und holt die Karten.

Wenn Gott es gut mit uns meint, lässt er in der Auberge de Châteauvert für hundert Jahre alles wie es ist.

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Auberge de Châteauvert – Route départementale 554 – F-83670 Châteauvert – Tel. 0033 – 494 – 770 660. – Menü wochentags 18 Euro, Sonn- und Feiertags 28 Euro. – Weine 12 bis 32 Euro. – Öffnungszeiten saisonal abweichend, unter http://www.chateauvert.fr. – Im Winter eine absolut bemerkenswerte Daube sanglier.

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